Schriftlich Schweigen

Spur & Rhythmus

Autor/innen

  • Ulrich Schmitz Universität Duisburg-Essen

DOI:

https://doi.org/10.17192/obst.2024.103.8713

Schlagworte:

Schweigen, Textualität, Textlinguistik, Zero-Text, Textdesign, Fragment, Gliederungssignal, Kontext, Pragmalinguistik, silence, textuality, text linguistics, zero-text, text design, fragment, outline signal, context, pragmalinguistics

Abstract


Keine Buchstaben, also kein Text? Schriftliches Schweigen kommt in zweierlei Ausprägungen vor, entweder als fehlender Text (Spur) oder aber als Gliederungssignal (Rhythmus). Schweigen als Spur (mit 14 Unterarten) ist syntaxfrei (syntaktisch leer), doch voll verschwiegener Semantik (semantisch voll). Schweigen als Rhythmus hingegen ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – semantisch leer, jedoch syntaktisch voll. An der Oberfläche sehen beide gleich aus, nämlich als mehr oder weniger große ungefüllte Flächen. Doch sie erfüllen völlig verschiedene pragmatische Funktionen. Schweigen als Spur kann in seiner Bedeutung gelesen werden. Schweigen als Gliederungssignal macht Lesen als Technik überhaupt erst möglich. Kann schriftliches Schweigen nun als Text verstanden werden? Um diese Frage zu beantworten, ziehen wir zunächst die Textualitätskriterien von de Beaugrande/Dressler (1981) heran, anschließend die Textualitäts- bzw. Lesbarkeitshinweise von Hausendorf et al. (2008 bzw. 2017) und schließlich die Kleinen-Text-Gesetze nach Schmitz (2021). Es ergibt sich, dass Schweigen als Spur in den meisten Fällen als Text aufgefasst werden kann. Demgegenüber kann Schweigen als Rhythmus in den allermeisten Fällen nicht als Text gelten; doch es ist ein notwendiger Bestandteil von Texten.

Silence as trace (with 14 subtypes) is syntax-free (syntactically empty), but full of concealed semantics (semantically full). Silence as rhythm, on the other hand, is – with a few exceptions – semantically empty, but syntactically full. On the surface, both look the same, namely as more or less large unfilled areas. But they fulfill completely different pragmatic functions. Silence as trace can be read in its meaning. Silence as structuring signal makes reading as a technique possible in the first place. Now, can written silence be understood as text? To answer this question, we first consult the textuality criteria of de Beaugrande/Dressler (1981), then the textuality resp. readability indications of Hausendorf et al. (2008 and 2017) and finally the small text laws according to Schmitz (2021). It turns out that silence as trace can be understood as text in most cases. In contrast, silence as rhythm cannot be considered a text in the vast majority of cases; but it is a necessary component of texts.

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Veröffentlicht

2024-06-18

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